"Gespenster" - das Stück
Helene Alving, Witwe des Hauptmanns und Kammerherrn Alving hat Zeit ihres Lebens all ihre Energie darauf verwendet, die moralischen Verfehlungen ihres Ehemannes zu verbergen. Von ihrer Familie zu einer Heirat mit dem wohlhabenden Alving gedrängt, flüchtete sie sich kurz nach der Hochzeit zu Pastor Manders, ihrer Jugendliebe – doch der schickte sie zurück und erinnerte sie an ihre Pflichten als Ehefrau. Den geliebten Sohn Osvald gab sie aus dem Haus, um ihm die Enttäuschung über die Fehltritte seines Vaters zu ersparen. Die waren kaum mehr zu vertuschen, als sich aus dem Verhältnis zwischen Alving und dem damaligen Hausmädchen Nachwuchs ankündigte.
Jetzt, zehn Jahre nach dem Tod des Mannes an Syphilis, versucht sie mit der Umsorgung und Beschäftigung der jungen Regine als Hausmädchen wenigstens ein wenig der Schuld ihres Mannes abzutragen. Sohn Osvald kehrt nun anlässlich der Eröffnung des Kinderasyls, das zu Ehren seines Vaters gestiftet wurde, nach vergnüglichen und erfolgreichen Jahren als Künstler in Paris nach Hause zurück. Er ist gezeichnet von seiner unheilbaren Krankheit, der Gehirnparalyse, die laut Arzt in den Verfehlungen seines Vaters begründet sein soll.
Henrik Ibsen bezeichnete sein im Jahr 1881 verfasstes Stück „Gengangere“, dt. „Gespenster“ (Uraufführung 1882 in Chicago) als ein „Familiendrama“. Dieses schockierte seine Zeitgenossen, der Zensor des Königlichen Theaters in Kopenhagen, wo noch zwei Jahre zuvor die Uraufführung von Ibsens „Nora“ stattgefunden hatte, unterband 1881 eine Inszenierung: Dieses Stück habe ein abstoßendes pathologisches Phänomen als Hauptmotiv, vor allem aber untergrabe es die Moral, die die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilde.
Die „Gespenster“ entfachten einen Sturm des Abscheus und des Zornes, wie ihn Ibsen in diesem Ausmaß nie zuvor erlebt hatte. Man warf ihm Nihilismus vor, einen Angriff auf die grundlegenden Werte der Kirche, die Verteidigung der freien Liebe und die Verletzung von Tabus wie Inzest und Syphilis.
Ibsen, der seit 1864 im freiwilligen Exil lebte, schildert mit diesem Stück seine Sicht auf die norwegische Gesellschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Diese befand sich in einer Zeit des Umbruchs. Auf der einen Seite standen die konservative Beamtenregierung und der König, unterstützt von der Kirche, auf der anderen Seite fortschrittliche Kräfte, die eine Parlamentarisierung der norwegischen Gesellschaft anstrebten.